Miet-Kündigung: Eigenbedarf zählt nicht bei Suizidgefahr und Demenz
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Was wiegt schwerer? Das Interesse eines Wohnungseigentümers, die ihm gehörende Wohnung selbst zu nutzen? Oder das Interesse eines langjährigen Mieters, weiter in der Wohnung zu bleiben?
Deutschland altert – und damit tritt auch Negatives häufiger auf, das mit dem Alter mitunter auch verbunden ist: Altersdepression und Demenz. Auch bei mietrechtlichen Auseinandersetzungen spiegelt sich diese Entwicklung wider, beispielsweise in einem Fall, über den das Amtsgericht Berlin-Mitte zu entscheiden hatte. Dabei ging es um eine Eigenbedarfskündigung und eine knifflige Abwägung.
Vermieter gegen Mieter
Mit dem Interesse des Wohnungseigentümers beschäftigte sich das Amtsgericht nur kurz und stellte knapp fest, dass dieser »die ernsthafte Absicht (habe), die streitgegenständliche Wohnung aus vernünftigen Gründen zu bewohnen«. Ergo handelte es sich um eine berechtigte Eigenbedarfskündigung.
Dieser Eigenbedarfskündigung kann ein Mieter nach § 574 BGB widersprechen, »wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist«.
Der Mieter hatte einen solchen Widerspruch gegen die Kündigung eingelegt. Verhandelt wurde in Berlin über die Frage, ob er sich auf eine »Härte« berufen konnte.
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Beim Mieter handelte es sich um einen alleinlebenden, vereinsamt lebenden 73-jährigen Mann, der seinen Lebenspartner vor einigen Jahren verloren hatte und schon Jahrzehnte in seiner Wohnung lebte. Alter und Dauer des Mietverhältnisses für sich allein stellten keine besondere Härte dar, befand das Gericht.
Es hatte jedoch einen Sachverständigen eingeschaltet, der die gesundheitliche Situation des Betroffenen zu begutachten hatte. Dieser diagnostizierte eine »mittelschwere depressive Symptomatik und Belastung mit Ängsten im Alltag, ein klinisch relevantes, mittelgradiges depressives Syndrom«.
Aus den Angaben des Beklagten lasse sich – so der Gutachter – ein chronischer Verlauf der Depression vermuten. Eine Trauerreaktion nach dem Tod des Partners des Beklagten sei in eine kodifizierte depressive Störung übergegangen, die durch die Verluste durch den Tod der Eltern und den Tod der Schwester eine weitere Verschlechterung erfahren habe. Im Ergebnis kam der Gutachter zu der Einschätzung, dass sich die Situation des Betroffenen durch einen Wohnungswechsel mit einiger Wahrscheinlichkeit verschlechtern werde, wobei unter anderem eine Suizidgefahr bestehe.
Fazit des Gerichts: Die Eigenbedarfskündigung wurde abgelehnt. Begründung: »Im Ergebnis fällt die Abwägung zwischen Bestandsinteresse des Mieters und dem Erlangungsinteresse des Eigentümers hier zugunsten des Beklagten als Mieter aus« (Az. 10 C 3/19).
Das Berliner Urteil zeigt, dass gerade ältere Mieter durchaus mit guten Chancen einer Eigenbedarfskündigung widersprechen können. Für Vermieter gilt: Mit zunehmendem Alter der Mieter wird die Gefahr immer größer, dass Mieter mit gerichtlich anerkennbar guten Gründen einer Kündigung widersprechen können. Das Alter der Mieter für sich gesehen führt zwar nicht zu einer Einstufung der Betroffenen als »Härtefall«, wohl aber unter Umständen mit dem Alter verbundene gesundheitliche Einschränkungen. Vor einer Eigenbedarfskündigung ist Vermietern damit, gerade wenn es um ältere Mieter geht, anzuraten, eine fachliche Expertise, etwa beim örtlichen Haus- und Grundbesitzerverein, einzuholen. Gegebenenfalls ist es auch von Vorteil, wenn Vermieter ihren Mietern bei der Suche einer Ersatzwohnung behilflich sind. Davon können dann beide Seiten profitieren.
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Das Amtsgericht Berlin folgte in seinem durch Sachverständigengutachten gestützten Urteil zum potenziell suizidgefährdeten Mieter der Linie, die der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteilen vom 22.5.2018 (Az. VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17) vorgegeben hatte.
Der BGH hatte befunden, dass bei Eigenbedarfskündigungen Faktoren wie »Alter« oder »langjähriges Mietverhältnis« für sich gesehen nicht nur Einstufung von gekündigten Mietern als »Härtefall« führen.
Würden vom Mieter »indes substanziiert ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend gemacht«, hätten die Gerichte beim Fehlen eigener Sachkunde regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon zu verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden seien.
Muss ein Sachverständiger ein Gutachten erstellen?
Das Gericht gab vor, »dass ein Sachverständigengutachten regelmäßig von Amts wegen einzuholen sein wird, wenn der Mieter eine zu besorgende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes durch ärztliches Attest belegt hat«.
Auf diese Weise müsse geklärt werden, an welchen Erkrankungen der betroffene Mieter konkret leidet und wie sich diese auf seine Lebensweise und Autonomie sowie auf seine psychische und physische Verfassung auswirken.
Dabei sei auch von Bedeutung, ob und inwieweit sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen mittels Unterstützung durch das Umfeld beziehungsweise durch begleitende ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen mindern ließen.
Ohne eine solche Aufklärung könnten die Gerichte keine angemessene Abwägung bei der Härtefallprüfung vornehmen.
(MS)