Schwerbehinderung: Recht auf Arbeitszeitverkürzung nutzen
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Für Schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Arbeitnehmer gelten bei der Arbeitszeitverkürzung besondere Regeln, die bislang allerdings nur selten genutzt werden.
Der besondere, zusätzliche Anspruch auf Teilzeitarbeit für schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen ergibt sich aus § 164 Abs. 5 Satz 3 SGB IX. Dieser lautet: "Schwerbehinderte Menschen haben einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung, wenn die kürzere Arbeitszeit wegen Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist".
Bei diesem Teilzeitanspruch gibt es keine Mindestanforderungen an die Betriebsgröße und eine Mindestdauer der Beschäftigung sowie keine Regelungen zu Antragsfristen. Voraussetzung für den Rechtsanspruch ist lediglich, dass die kürzere Arbeitszeit wegen der Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist.
Ein Schwerbehinderter kann jederzeit – ohne Bindung an eine Form oder Frist – verlangen, nur noch in einem seiner Behinderung Rechnung tragenden zeitlichen Umfang eingesetzt zu werden. Er soll die Chance haben, ohne Gefährdung seiner Gesundheit weiterhin aktiv am beruflichen Leben teilzuhaben. Möglich ist auch eine nur vorübergehende Verringerung der Arbeitszeit, entschied das Bundesarbeitsgericht am 14.10.2003 (Az. 9 AZR 100/03).
Im Leitsatz dieses Urteils heißt es: "Das Verlangen des schwerbehinderten Menschen […] bewirkt unmittelbar eine Verringerung der geschuldeten Arbeitszeit, ohne dass es einer Zustimmung des Arbeitgebers zur Änderung der vertraglichen Pflichten bedarf."
Anrecht notfalls gerichtlich durchsetzen
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat nun gegen das Bundesland Brandenburg entschieden, dass die betroffenen Behinderten sogar Anspruch auf eine konkrete Verteilung der Arbeitszeit haben, die ihrer Behinderung entspricht. Das Land wurde verurteilt, der klagenden Arbeitnehmerin eine Teilzeitarbeit von wöchentlich 19 Stunden verteilt auf drei Arbeitstage zu ermöglichen (Az. 15 Sa 1021/18).
Verhandelt wurde über die Klage einer Frau (Jahrgang 1960), die seit über 30 Jahren beim Land Brandenburg beschäftigt war, zuletzt im Landesbetrieb für Gebäudewirtschaft. Sie war zunächst als Reinigungskraft, später als Pförtnerin in Teilzeit mit wöchentlich 24 1/4 Stunden beschäftigt.
Im Juli 2015 wurde aus der befristeten Teilerwerbsminderungsrente, die sie bereits vorher erhielt, eine unbefristete Teilerwerbsminderungsrente. Anspruch auf diese Rente haben Versicherte, die eine tägliche Restarbeitsfähigkeit zwischen drei und sechs Stunden haben.
Die Teilerwerbsminderungsrente (= halb volle Erwerbsminderungsrente) ist vom Prinzip her eine Teilrente, die – zur Sicherung des Lebensunterhalts – eine zusätzliche Teilzeitbeschäftigung erfordert. Sie ist eigentlich genau für Fälle gedacht wie den, über den das LAG Berlin-Brandenburg zu entscheiden hatte.
Arbeitszeiten sinnvoll gestalten
Den Antrag auf eine Wochenarbeitszeit von 19 Stunden an drei Arbeitstagen hatte die Betroffene gestellt, weil sie der Ansicht war, dass zwischenzeitliche arbeitsfreie Tage ihr eher eine Weiterarbeit ermöglichen würden als eine Verteilung der Arbeitszeit auf fünf Tage.
Das Land wandte hiergegen unter anderem ein, dass mit der sich dann im Schnitt ergebenden täglichen Arbeitszeit von 6 1/3 Stunden die für die teilweise Erwerbsminderungsrente geltende Obergrenze überschritten wurde. Das zu entscheiden, sei Sache der Rentenversicherung, befand das LAG.
Anzumerken ist, dass im Einzelfall durchaus auch solche Arbeitsgestaltungen einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht entgegenstehen. Vor allem argumentierte das Land, ein entsprechender Arbeitsplatz sei nicht vorhanden.
Das LAG befand dagegen, 16 Teilzeitkräfte seien beim Land in entsprechenden Teilzeitjobs beschäftigt. Es sei sehr wohl möglich, "die vorhandenen 16 Teilzeitkräfte in Ergänzung zu den jeweiligen Stundenzahlen einzusetzen, die von der Klägerin zu leisten sind".
Beim Anspruch der schwerbehinderten und gleichgestellten Menschen auf Anpassung der Arbeitsbedingungen handelt es sich um einen Eckpfeiler des Behindertenrechts. Der Arbeitgeber muss alle geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um behinderten Arbeitnehmern ihre Tätigkeit weiterhin zu ermöglichen und einen gesundheitsbedingten Leistungsabfall aufzufangen.
(MS)