Gesetzliche Unfallversicherung: Arbeitsunfall - ja oder nein?
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Diese Frage ist häufig vor den bundesdeutschen Sozialgerichten hart umkämpft. Und das nicht nur zwischen Versicherten und Berufsgenossenschaften, sondern manchmal auch zwischen Krankenkasse und Berufsgenossenschaft. Denn hier geht es auch um die Frage: Wer zahlt?
Das Bundessozialgericht beschäftigte sich mit einem solchen Fall. Die IKK Brandenburg und Berlin zog gegen die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft bis zum BSG, weil sie der Ansicht war, dass eine bei ihr Versicherte einen Wegeunfall (also einen Unfall im Zusammenhang mit dem Arbeitsweg) erlitten hätte. Der Unfall hatte sich ereignet, als die Arbeitnehmerin auf dem Weg zum Postbriefkasten war, um ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dort einzuwerfen. Das BSG teilte die Rechtsposition der Krankenkasse. Das bedeutet: Die gesetzliche Unfallversicherung (also in diesem Fall die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft) ist für den Versicherungsfall zuständig und nicht die Krankenkasse.
Wer für die ärztliche Behandlung und etwaige Folgeschäden (bis hin zur Rente) die Zuständigkeit hat, ist keineswegs egal. Die Leistungen der Berufsgenossenschaft sind nämlich deutlich besser. Dazu später mehr.
Immer prüfen, ob es sich um einen Wegeunfall handelt
Unfälle, die auf dem Weg von zu Hause zum Arbeitsplatz und umgekehrt passieren, sind Wegeunfälle. Diese werden von der Berufsgenossenschaft genau wie Arbeitsunfälle im Betrieb behandelt. Es handelt sich letztlich um eine Unterart der Arbeitsunfälle, ohne dass es Unterschiede bei den Leistungen gibt.
Weit mehr Unfälle, als man auf den ersten Blick denken mag, zählen als Wegeunfälle. Unter dem Versicherungsschutz steht beispielsweise, wer vom Homeoffice aus sein Kind in den Kindergarten oder die Schule bringt und dabei verunglückt. Möglicherweise gilt dies auch – ein solcher Fall ist, soweit bekannt, noch nicht vor Gericht gelandet –, wenn ein Arbeitnehmer aus dem Homeoffice heraus seine betagte Mutter zu einer Tagespflege bringt.
In diese Kategorie der – zumindest auf den ersten Blick – verwunderlicherweise als Wegeunfall eingeordneten Fälle ist auch der nun vom BSG entschiedene »Briefkasten-Fall« einzuordnen (BSG-Urteil vom 30.3.2023, Az. B 2 U 1/21 R). Das BSG bezog sich bei seiner Entscheidung auf die nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz bestehende Pflicht eines arbeitsunfähigen Arbeitnehmers seinem Arbeitgeber eine zuverlässige Information über seine Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliches Ende zukommen zu lassen.
Das geschah im verhandelten Fall durch die postalische Zusendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, wobei die Arbeitnehmerin auf dem Weg zum Briefkasten stürzte und sich verletzte. Die zuständige IKK kam zunächst für die Kosten der medizinischen Behandlung auf und zahlte der Versicherten außerdem Krankengeld – wollte sich aber anschließend ihre Kosten von der Berufsgenossenschaft erstatten lassen. Die weigerte sich zu zahlen, weil es schließlich die »Privatsache« eines Versicherten sei, die AU-Bescheinigung per Post zu schicken. Dies verlange der Gesetzgeber nicht und im entschiedenen Fall auch nicht der Arbeitgeber.
Die ersten beiden Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit teilten diese Argumente, nicht so das Bundessozialgericht. Das oberste Sozialgericht befand, mit dem Einwurf der für ihren Arbeitgeber bestimmten Bescheinigung habe die Arbeitnehmerin nichts anderes bewirken wollen, als ihre gesetzliche Nachweispflicht im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Entgeltfortzahlungsgesetz zu erfüllen. Damit habe sie in dieser Situation unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden.
Bei welchen Punkten sind die Leistungen der Berufsgenossenschaften überlegen?
Das Verletztengeld der Berufsgenossenschaften ist um zehn Prozentpunkte höher als das Krankengeld: Nach dem Ende der sechswöchigen Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber gewährt die Unfallversicherung Verletztengeld. Dieses beträgt 80% des entgangenen regelmäßigen Brutto-Entgeltes. Es darf aber nicht höher sein als das regelmäßige Netto-Entgelt. Das Krankengeld beträgt dagegen im Allgemeinen 70 % vom Brutto, jedoch höchstens 90 % vom Netto.
Zuzahlungen etwa zu verschriebenen Medikamenten oder beim Krankenhausaufenthalt gibt es bei den Berufsgenossenschaften nicht. Eine Woche Krankenhausaufenthalt als Krankenkassenleistung kostet dagegen für gesetzlich Versicherte schon 70 Euro.
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Berufliche Rehabilitation: Diese finanzieren die Berufsgenossenschaften, wenn infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit der bisherige Beruf nicht mehr (oder nicht mehr in der bisherigen Form) ausgeübt werden kann. Möglich ist etwa die Finanzierung einer Umschulung.
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Unfallrente: Diese zahlen die Berufsgenossenschaften, wenn als Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 % eintritt.
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Hinterbliebenenrente: Stirbt ein Versicherter als Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit, so zahlt die Berufsgenossenschaft unter anderen einmalig ein Sterbegeld sowie Hinterbliebenenrente an die Witwe oder den Witwer bzw. an den Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Kinder unter 18 Jahren haben Anspruch auf Waisenrente.
Für die Behandlung von Arbeitsunfällen und Wegeunfällen sind Durchgangsärzte zuständig. Bei der Suche nach einem solchen Arzt können Sie ein Tool der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung nutzen. Dieses finden Sie, wenn Sie in der Browserzeile »DGUV« und »Durchgangsarzt suchen« eingeben.
Krankenkasse als »Bündnispartner«
Falls unklar ist, ob es sich bei einem Unfall um einen »Wegeunfall« handelt oder nicht, sollten Sie sich umgehend auch an Ihre Krankenkasse wenden. Diese hat – genau wie Sie – ein Interesse daran, dass ein Unfall tatsächlich als Wegeunfall behandelt wird. Die Kasse wird Sie gegebenenfalls unterstützen. Die Kasse schickt Ihnen ohnehin vielfach ein Formular zu, in dem Sie Angaben zum Unfallhergang machen können.
(AI)