Elternunterhalt 2022 - Entlastung bei Pflegekosten für Eltern
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Wenn Eltern ihren Lebensabend im Pflegeheim verbringen oder auf häusliche Pflege durch andere angewiesen sind, reicht die Altersversorgung wegen der hohen Kosten häufig nicht aus. Dann müssen die Kinder für den Unterhalt ihrer Eltern aufkommen. Doch das Angehörigen-Entlastungsgesetz entspannt neuerdings die Situation.
Gute Pflege ist teuer. Die Leistungen aus der Pflegeversicherung decken in vielen Fällen lediglich die Hälfte der Kosten.
Was passiert, wenn die Rente und das Ersparte nicht reichen?
In vielen Fällen müssen dann die erwachsenen Kinder einspringen und Unterhalt zahlen. Dazu sind sie gemäß § 1601 BGB im Rahmen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit verpflichtet, denn Kinder haften für ihre Eltern.
Zunächst gilt: Wenn die finanzielle Leistungsfähigkeit der Eltern nicht ausreicht, tritt an erster Stelle das Sozialamt auf den Plan und übernimmt die ungedeckten Kosten. Doch das macht das Sozialamt oftmals bloß vorübergehend und/oder nur zum Teil. Schließlich sollen die Pflegekosten nicht von der Allgemeinheit getragen werden, wenn die unterhaltspflichtigen Kinder leistungsfähig sind. Deshalb versuchen die in Vorlage getretenen Sozialhilfeämter die geleisteten Kosten mittels Sozialhilferegress (Unterhaltsregress) bei Unterhaltspflichtigen wieder einzutreiben.
Das gelingt allerdings immer seltener, weil hier das "Gesetz zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe" davor ist. Ein weiterer Regress geschieht unter Umständen dadurch, dass großzügige Schenkungen der Eltern wieder rückgängig gemacht werden müssen.
Wie entschärft das neue Angehörigen-Entlastungsgesetz die finanzielle Unterhaltspflicht?
Seit dem 1.1.2020 müssen deutlich weniger Kinder damit rechnen, sich finanziell am Lebensunterhalt ihrer bedürftigen Eltern beteiligen zu müssen. Das Angehörigen-Entlastungsgesetz regelt in § 94 Abs. 1a SGB XII, dass Unterhaltsansprüche leistungsberechtigter Eltern gegenüber ihren Kindern nicht zu berücksichtigen sind.
Ausnahme: Das jährliche Gesamteinkommen beträgt mehr als die 100.000,– € Jahreseinkommensgrenze (brutto) je unterhaltsverpflichteter Person.
Die Zahlung von Elternunterhalt ist deshalb für die meisten Kinder pflegebedürftiger Eltern vom Tisch. Die zuständigen Ämter haben deshalb seit Januar 2020 in der Regel kein Geld mehr eingefordert. Sind Sie sich jedoch nicht sicher, ob Sie von der gesetzlichen Neuregelung profitieren, sollten Sie weiterlesen.
Wie ist die amtliche Neugier begrenzt?
Da das Einkommen, das nicht zu berücksichtigen ist, sehr hoch ist, wird zunächst einmal seitens des zuständigen Sozialhilfeträgers vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Kinder die Jahreseinkommensgrenze von 100.000,– € brutto nicht überschreitet.
Durch die Vermutungsregelung werden nicht mehr alle theoretisch infrage kommenden Unterhaltspflichtigen geprüft, sondern nur diejenigen, bei denen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Einkommensgrenze von 100.000,– € vorliegen.
Allerdings kann der Sozialhilfeträger Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen zulassen. Bereits jetzt ist es Verwaltungspraxis, dass die Sozialämter in den Antragsformularen für Grundsicherung die Eltern selbst fragen, ob ihre Kinder mehr als 100.000,– € Jahresbruttoeinkommen haben, denn für die reine Grundsicherung gab es bereits vorher die 100.000-Euro-Grenze.
Wenn dann die Eltern die Frage mit "Ja" beantworten, besteht ein Anlass für die Sozialämter, bei den Kindern genauer nachzufragen. Die Eltern brauchen diese Frage nicht zu beantworten. Schließlich wissen sie in der Regel nicht genau, wie viel ihre Kinder verdienen.
Erst wenn hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vorliegen, besteht ein Auskunftsanspruch, aufgrund dessen das Amt ermittelt, in welchem Umfang sich die Kinder an den Kosten beteiligen müssen. Um den Unterhaltsanspruch der Eltern berechnen zu können, benötigt das Sozialamt einen detaillierten Einblick in ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse und gegebenenfalls auch die des Ehepartners.
Wenn Sie nach Aufforderung die Auskunft nicht oder nicht rechtzeitig erteilen, laufen Sie Gefahr, dass das Sozialamt Vollstreckungsmaßnahmen gegen Sie ergreift. Das geht, ohne dass vorher ein gerichtliches Verfahren eingeleitet worden ist. Dabei darf das Sozialamt sogar an Ihren Arbeitgeber herantreten. Ebenso besteht ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Finanzamt (§ 21 Abs. 4 SGB X).
Wann wird das Einkommen des Unterhaltspflichtigen ermittelt?
Erst am Jahresende steht fest, ob Sie tatsächlich ein Jahresbruttoeinkommen von 100.000,– € erwirtschaftet haben. Daher können Sie Ihre Unterhaltszahlungen einstellen, denn Elternunterhalt müssen Sie nicht zahlen, solange Sie nicht wissen, ob Sie die Einkommenshöhe von über 100.000,– € auch im Jahre 2021 erwirtschaften.
Wenn Sie im Kalenderjahr 2020 über dieser Einkommensgrenze lagen, ist dieses für die Sozialhilfeträger ein "hinreichender Anhaltspunkt" dafür, Auskunft von Ihnen zu verlangen. Ab Beginn des Auskunftsverlangens kann dann das Sozialamt, wenn Sie im Jahre 2020 über dieser Einkommensgrenze liegen, rückwirkend Elternunterhalt verlangen.
Daher sollten Sie vorsichtshalber jeden Monat den voraussichtlichen Zahlbetrag "zur Seite legen". Wenn der Sozialhilfeträger von Ihnen keine Auskunft verlangt, brauchen Sie rückwirkend keinen Elternunterhalt zahlen, sondern erst ab dem Tag des Auskunftsverlangens. Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern sind nicht zu berücksichtigen, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen i.S.d. § 16 SGB IV beträgt jeweils mehr als 100.000,– € Jahreseinkommensgrenze (brutto) je unterhaltsverpflichteter Person.
Wer muss sich an den Kosten beteiligen?
Einen Teil der Pflegekosten deckt zunächst die Pflegeversicherung, deren Höhe abhängig vom Pflegegrad ist. Weil dieser Geldbetrag von der Pflegekasse jedoch in der Regel für vollstationäre Unterbringungen nicht ausreicht, müssen alle Einkünfte des Pflegebedürftigen mit herangezogen werden, also seine Renteneinkünfte, seine Mieteinnahmen, Zinseinkünfte und sein vorhandenes Vermögen.
Möglicherweise hat Ihr Vater bzw. Ihre Mutter auch Anspruch auf Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz. Diese Möglichkeit muss auf jeden Fall genutzt werden (BGH, Beschluss vom 8.7.2015, Az. XII ZB 56/14). Hier werden die Ämter von sich aus aktiv. Verfügen Sie als unterhaltspflichtige Person allerdings über ein Jahreseinkommen über 100.000,– €, gibt es keine Grundsicherung für die Eltern.
Erst wenn die Leistungen aus der Pflegeversicherung und die eigenen Einkünfte und das Vermögen des Pflegebedürftigen nicht ausreichen, werden die finanziellen Verhältnisse der Familienangehörigen relevant. Dabei ist zuerst der Ehepartner des Pflegebedürftigen zur Zahlung heranzuziehen und dann erst die Kinder.
Gilt das Angehörigen-Entlastungsgesetz auch bei Eheleuten?
Nein, das Angehörigen-Entlastungsgesetz gilt nicht bei Eheleuten. Dabei darf der Ehepartner des Pflegebedürftigen ein Schonvermögen von 5.000,– € behalten, dieser Betrag ist gemäß § 90 SGB XII anrechnungsfrei. Dem anderen Ehepartner wird ebenfalls ein Schonvermögen von 5.000,– € zugestanden, sodass bei Eheleuten ein Schonvermögen von 10.000,– € anrechnungsfrei bleibt.
Kommt der pflegebedürftige Ehepartner ins Pflegeheim, während der andere noch rüstige Ehepartner zu Hause wohnen bleibt, muss dieser somit die ungedeckten Pflegeheimkosten mitbezahlen, denn wenn nur ein Elternteil im Pflegeheim untergebracht ist und der andere Elternteil in der bisherigen Wohnung verbleibt, gelten beide sozialhilferechtlich immer noch als Bedarfsgemeinschaft. Sie werden nicht wie getrennt lebende oder geschiedene Eheleute behandelt.
Das Sozialamt ermittelt hier den Gesamtbedarf für beide Ehegatten und stellt diesen Bedarf dem Gesamteinkommen bzw. Vermögen gegenüber. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Einkommen desjenigen Ehepartners, der im Heim lebt, ausreicht, seinen konkreten Bedarf zu decken.
Das heißt, das Sozialamt verteilt das vorhandene Einkommen des Ehepaares und kommt gegebenenfalls für die ungedeckten Heimkosten auf. Selbst wenn die Eltern schon vorher getrennt gelebt haben, muss das Sozialamt zunächst versuchen, den anderen Ehegatten im Rahmen des Ehegattenunterhalts heranzuziehen. Folglich gelten hier die Selbstbehaltsbeträge, die die Düsseldorfer Tabelle für den Ehegattenunterhalt vorsieht (vgl. www.olg-duesseldorf.nrw.de).
Werden Enkelkinder und andere Verwandte finanziell herangezogen?
Gemäß § 1601 BGB sind Verwandte in auf- und absteigender Reihenfolge gegenseitig zu Unterhaltszahlungen verpflichtet, und zwar ein Leben lang. Demnach besteht zivilrechtlich eine Unterhaltspflicht der Enkel gegenüber ihren Großeltern.
Das gilt jedoch nicht sozialrechtlich, denn der Unterhaltsanspruch der Großeltern geht nach § 94 SGB XII nicht auf den Sozialhilfeträger über. Die Enkel müssen nicht für die Pflegekosten der Großeltern aufkommen, egal wie gut sie verdienen.
Wichtig: Das Sozialamt kann nur die Kinder für die Pflegekosten ihrer Eltern heranziehen, aber nicht die Enkelkinder und auch nicht die Geschwister, Cousins, Cousinen, Onkel und Tanten. Diese müssen finanziell nicht füreinander einstehen.
Wann ist das Angehörigen-Entlastungsgesetz anzuwenden?
Das Angehörigen-Entlastungsgesetz gilt seit dem 1.1.2020. Seither zahlen unterhaltspflichtige Kinder erst ab 100.000,– € Jahresbruttoeinkommen für den offenen Pflegebedarf ihrer Eltern. Die 100.000-Euro-Grenze umfasst das gesamte Jahresbruttoeinkommen. Das ist das zu versteuernde Gesamteinkommen, also das Brutto-Jahresgehalt plus eventuelle weitere Einnahmen zum Beispiel aus Vermietung oder aus Kapitalvermögen, minus Werbungskosten.
Bei Selbstständigen zählt der Jahresgewinn, also Betriebseinnahmen minus Betriebsausgaben. Vorhandenes Vermögen wird dagegen nicht berücksichtigt.
Zählt beim Kind das Einkommen seines Ehepartners mit?
Das Einkommen des Schwiegerkindes wird nicht mehr mitberücksichtigt. Entscheidend für die Prüfung der Einkommensgrenze ist jetzt einzig das Einkommen des Kindes des Pflegebedürftigen.
Sollte das unterhaltspflichtige Kind also zusammen mit dem Einkommen seines Ehepartners auf mehr als 100.000,– € kommen, verpflichtet dies das Kind nicht zu Unterhaltszahlungen für seine Eltern, es gilt allein das Einkommen des Kindes.
Im Extremfall bedeutet das: Wenn das Kind über ein Jahresbruttoeinkommen von 99.000,– € verfügt und sein Ehegatte über ein Jahresbruttoeinkommen von 150.000,– €, wird das Kind nach dem Angehörigen-Entlastungsgesetz nicht zur Kasse gebeten, und das, obwohl es bei einem solchen Familieneinkommen wirtschaftlich dazu in der Lage wäre.
Wenn das Kind mit seinem Einkommen unterhalb der 100.000-Euro-Grenze liegt und über Vermögen verfügt, dann muss das Kind ebenfalls nicht sein Vermögen einsetzen – anders als beim Ehegatten des Pflegebedürftigen.
Im Ergebnis muss der Sozialhilfeträger in den meisten Fällen somit die Kostenlücke allein schließen, wenn pflegebedürftige Eltern nicht in der Lage sind, allein für ihren Lebensunterhalt aufzukommen.
Was ist, wenn unterhaltspflichtige Kinder plötzlich vom Vielverdiener zum Geringverdiener werden?
In diesem Fall, beispielsweise ausgelöst durch die Corona-Pandemie, brauchen die betroffenen Kinder zumindest für die Jahre 2020 und 2021 nicht mehr für den Elternunterhalt aufzukommen, weil ihre Einnahmen weggebrochen sind und ihre Einkünfte unter der 100.000-Euro-Grenze liegen werden.
Hier heißt es: Sofort handeln und dem Sozialamt Bescheid sagen!
Was ist, wenn der Elternunterhalt bereits tituliert ist?
Wenn der Elternunterhalt in einem Gerichtsverfahren bereits mit einem bestimmten monatlichen Zahlbetrag "tituliert" wurde, sollten Betroffene einen Abänderungsantrag beim zuständigen Familiengericht stellen. Für dieses Verfahren besteht Anwaltszwang. Hinweis: Wenn eine Forderung tituliert ist, ist der Gläubiger berechtigt, Zwangsvollstreckungen gegen den Schuldner einzuleiten.
Sie sollten sofort den Sozialhilfeträger unter Darlegung der aktuellen Einkommenssituation informieren und diesem die zukünftige Prognose in Ihrem konkreten Fall und Berufsbild aufzeigen. Und, dass Sie daher gezwungen sind, die Unterhaltszahlungen sofort auszusetzen, weil Sie finanziell dazu derzeit nicht in der Lage sind.
Der Sozialhilfeträger soll bis zum Jahresende auf den titulierten Unterhalt verzichten und Ihnen das schriftlich bestätigen. Setzen Sie ihm hierfür eine Frist von sieben Tagen. Hält das Sozialamt diese Frist nicht ein, sollten Betroffene unverzüglich den Abänderungsantrag beim zuständigen Familiengericht stellen lassen. Und zwar dahin gehend, dass die Zahlungsverpflichtung auf "null" herabgesetzt wird nebst dem Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung.
Was ist, wenn der Elternunterhalt noch nicht tituliert ist?
Ein "nicht titulierter Elternunterhalt" liegt vor, wenn es vonseiten des Sozialhilfeträgers eine außergerichtliche Zahlungsaufforderung zur Zahlung eines bestimmten monatlichen Elternunterhaltes gegeben hat, das unterhaltspflichtige Kind seinerzeit diese Zahlungsaufforderung akzeptiert hat und jeden Monat diesen Betrag zahlt.
Das Aufforderungsschreiben des Sozialamts zur Zahlung von Elternunterhalt ist kein Titel, aus dem die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann.
Wer sich die Zahlungen aufgrund seiner Einkommensrückgänge nicht mehr leisten kann, braucht das Sozialamt nicht zu fürchten. Es kann keine Vollstreckungsmaßnahmen vornehmen, weil es keinen Unterhaltstitel gibt. Das Sozialamt müsste zunächst Zahlungsklage erheben, um einen Unterhaltstitel zu erwirken.
Wichtig: Die Pflegekosten, die Sie bis dahin an das Sozialamt gezahlt haben, können Sie nicht zurückfordern, da das Angehörigen-Entlastungsgesetz nicht rückwirkend greift. Daher ist schnelles Handeln angesagt.
Wann müssen sich Geschwister die Unterhaltslasten teilen?
Wenn Sie Geschwister haben, haften Sie gemeinsam mit Ihren Geschwistern anteilig nach Ihren jeweiligen Einkommensverhältnissen. Nach Ihren Vermögensverhältnissen haften Sie nicht mehr, da das Vermögen für den Elternunterhalt aufgrund des Angehörigen-Entlastungsgesetzes nicht mehr herangezogen wird.
Selbst wenn Sie allein in der Lage wären, die offenen Heimkosten Ihrer Eltern zu tragen, darf das Sozialamt nicht ausschließlich Sie in Anspruch nehmen. Hier wird für alle Geschwister eine eigenständige Berechnung durchgeführt. Wenn der Unterhalt, den die jeweiligen Geschwister zu zahlen in der Lage sind, die offenen Heimkosten übersteigt, teilt das Sozialamt die Unterhaltsverpflichtung entsprechend auf.
Beispiel: Die Berechnung hat ergeben, dass Sie in der Lage wären, 600,– € zu zahlen, Ihr Bruder lediglich 300,– €. Es bestehen offene Heimkosten in Höhe von 300,– €. Dementsprechend müssen Sie, der doppelt so viel leisten kann wie der Bruder, 200,– € zahlen, der Bruder kommt mit 100,– € davon. Sie brauchen aber erst zu zahlen, wenn man Ihnen gegenüber die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern und die Einkommensverhältnisse der Geschwister offengelegt hat. Andernfalls können Sie nicht überprüfen, wie das Sozialamt gerechnet hat.
Weil diese Auskünfte mit Hinweis auf den Datenschutz möglicherweise nicht erteilt werden, sollten Sie die Zahlung verweigern.
Es gehört zu einer schlüssigen Berechnung, dass auch das Einkommen der anderen Unterhaltspflichtigen offengelegt wird. Kommt das Sozialamt dieser Verpflichtung erst im Klageverfahren nach, besteht die Möglichkeit, bis dahin den Unterhaltsanspruch anzuerkennen und so das Sozialamt die gesamten Kosten des Verfahrens tragen zu lassen (BGH, Urteil vom 7.5.2003, Az. XII ZR 229/00).
Wichtig: Der Wegfall einzelner unterhaltspflichtiger Kinder darf nicht zu einer höheren Belastung der anderen Geschwister führen. Deren Unterhaltspflicht ist auf die ermittelte anteilige Haftung beschränkt (BGH, Beschluss vom 17.6.2015, Az. XII ZB 458/14).
Wann lassen bestimmte Gründe die Unterhaltspflicht entfallen?
Selbst wenn ein Vielverdiener Unterhalt für seine Eltern zahlen muss, kann es vorkommen, dass er den aus anderen persönlichen Gründen nicht zahlen muss. Beispielsweise könnte der Unterhaltspflicht eine Verwirkung des Anspruchs oder Eigenleistungen entgegenstehen.
Was gilt, wenn der Anspruch verwirkt ist?
Im Unterhaltsrecht gibt es verschiedene Verwirkungsgründe, die eine Zahlungsverpflichtung entfallen lassen.
Verwirkung liegt vor, wenn
• Eltern ein eigenes Verschulden an der Bedürftigkeit trifft. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Elternteil durch Spiel-, Trunk- oder Drogensucht bedürftig geworden sind. Hier ist allerdings zu berücksichtigen, ob dieses Verhalten Krankheitswert hat. Dann ist die Erkrankung selbst den Eltern nicht anzulasten. Ein Verschulden liegt in diesem Fall nur vor, wenn beispielsweise keine Therapie begonnen wurde.
• die Eltern selbst die eigene Unterhaltspflicht vernachlässigt haben, also dem unterhaltspflichtigen Kind gegenüber trotz entsprechender Verpflichtung keinen Unterhalt bezahlt haben (OLG Oldenburg, Beschluss vom 4.1.2017, Az. 4 UF 166/15). Das gilt auch dann, wenn der Unterhalt immer erst gerichtlich durchgesetzt werden musste.
• die Eltern keine eigene Altersvorsorge aufgebaut haben, obwohl sie dazu in der Lage gewesen wären.
• die Eltern dem unterhaltspflichtigen Kind oder dessen nahen Angehörigen gegenüber eine vorsätzliche schwere Verfehlung begangen haben. Das muss den Charakter eines üblichen Familienstreits jedoch deutlich übersteigen (z.B. Missbrauch), wie in dem Fall einer 14-Jährigen, die von ihrem Bruder vergewaltigt und geschwängert wurde. Statt die Tochter zu schützen, wurde sie von den Eltern ausgegrenzt. Der Bruder blieb unbehelligt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.1.2016, Az. 20 UF 109/14).
Eine die Unterhaltspflicht ausschließende Verfehlung liegt dagegen nicht vor, wenn der bedürftige Elternteil sich zwar äußerst schäbig benommen hat, aber seine gesetzlichen Verpflichtungen und Rechte stets beachtet hat. Der Sohn blieb nach der Scheidung seiner Eltern bei der Mutter, der Vater zahlte aber den gesetzlichen Unterhalt. Den Kontakt brach der Vater erst ab, als der Sohn schon erwachsen war. Darüber hinaus enterbte er den Sohn. Trotzdem bleibt der Sohn nach Ansicht des Bundesgerichtshofes hier unterhaltspflichtig, weil selbst die Enterbung, das heißt die Testierfreiheit, das gute Recht eines jeden Erblassers sei und somit keine schwere Verfehlung vorliege (BGH, Beschluss vom 12.2.2014, Az. XII ZB 607/12).
Ebenfalls keine Verwirkung liegt vor, wenn der betroffene Elternteil zum Beispiel aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung seine Kinder vernachlässigt hat. Ausnahme: Beruht die psychische Erkrankung zum Beispiel auf einer Tätigkeit für das Gemeinwohl, wie es bei einer Kriegsteilnahme vorkommen kann, ist die Kostenübernahme für den Elternunterhalt nicht zumutbar (BGH, Urteil vom 15.9.2010, Az. XII ZR 148/09).
Was gilt bei eigener Pflegeleistung?
Betreut ein Kind einen pflegebedürftigen Elternteil, kann es seine Unterhaltspflicht durch in Natur erbrachte Unterhaltsleistungen erfüllen (OLG Oldenburg, Urteil vom 14.1.2010, Az. 14 UF 134/09).
Damit entfällt ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch, der auf den Träger der Sozialhilfe übergehen könnte. Im entschiedenen Fall hatte die Tochter erhebliche Versorgungs- und Pflegeleistungen für ihre 90-jährige fast blinde Mutter im Heim für betreutes Wohnen übernommen. Dadurch konnte der Sozialhilfeträger weitere Leistungen einsparen, die das von ihm gezahlte Pflegegeld noch deutlich überstiegen hätten.
Ist Elternunterhalt per Bescheid durchsetzbar?
Dadurch, dass das Sozialamt den Unterhalt für die Eltern fordert, ändert sich am Anspruch selbst nichts. Das heißt, es können alle Einwendungen, die gegen die Eltern bestehen, auch dem Sozialamt entgegengehalten werden, z. B. Verwirkung des Anspruchs wegen Missbrauchs.
Aus dem Unterhaltsanspruch wird kein öffentlich-rechtlicher Anspruch. Es muss daher gegen eine Zahlungsaufforderung des Sozialamtes kein Widerspruch eingelegt werden.
Wenn keine Einigung erzielt werden kann, muss das Sozialamt den Unterhalt vor dem Familiengericht einklagen. Es kann sinnvoll sein, eine Klage zu riskieren, denn viele Unterhaltsberechnungen sind falsch.
Lassen Sie sich aber in diesem Fall von einem auf Elternunterhalt spezialisierten Anwalt vertreten.
Selbst wenn Sie sich nach der Überleitungsanzeige darauf einstellen sollten, rückwirkend in Anspruch genommen zu werden, gibt es auch für das Sozialamt hier Grenzen. Das Amt darf nämlich nichts mehr verlangen, wenn es seine Ansprüche nicht "zeitnah" durchsetzt. Dadurch soll verhindert werden, dass Ihre Unterhaltspflicht zu einer "erdrückenden Schuldenlast" anwächst. Ein Zeitraum von über einem Jahr ist nicht mehr zeitnah (BGH, Urteil vom 23.10.2002, Az. XII ZR 266/99).
Das heißt, in allen Fällen, in denen trotz Rechtswahrungsanzeige mehr als ein Jahr vergangen ist, dürfen Sie sich auf die Verwirkung der Ansprüche seitens des Sozialamts berufen.
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(MS)