Niedrigere Renten für langjährige Erwerbsminderungsrentner rechtswidrig?
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Rentner, deren Erwerbsminderungsrente bereits vor dem 1.1.2019 begonnen hat, haben keinen Anspruch auf eine Neuberechnung ihrer Rente nach den inzwischen geltenden, deutlich günstigeren Regelungen für Neurentner. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden – inzwischen liegt der Fall beim Bundesverfassungsgericht. Das Thema ist wichtig für alle, die zwischen 2001 und 2019 in Rente gegangen sind.
Das entscheidende Stichwort bei der Reform der Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) zum Jahreswechsel 2018/19 heißt »Zurechnungszeit«. Diese soll die Lücke zwischen dem Eintritt der Erwerbsminderung – im Schnitt mit etwa 51 Jahren – und dem regulären Rentenalter schließen. In der Zeit dazwischen werden die Erwerbsgeminderten rechnerisch so gestellt, als hätten sie weiterhin mit dem bisherigen Durchschnittsverdienst (der jeweils in Relation gesetzt wird zum Durchschnittsverdienst aller Rentenversicherten) Beiträge an die Rentenkasse abgeführt.
2018 endete die Zurechnungszeit für neue EM-Rentner bei 62 Jahren und drei Monaten. Seit Anfang 2019 läuft sie bis zum regulären Rentenalter. Das liegt für den Jahrgang 1956 bei 65 Jahren und 10 Monaten. Damit wird die (Versicherungs-)Lücke für neue EM-Rentner jetzt vollständig geschlossen, was – gegenüber der früher geltenden Regelung – zu einem deutlichen Rentenplus führt.
Nur für Neurentner
Die Anhebung der Zurechnungszeiten gilt allerdings – so die gesetzliche Regelung – nicht für diejenigen, die bereits Ende 2018 eine Erwerbsminderungsrente bezogen haben. Auch wenn die EM-Rente nach einer zunächst befristeten Bewilligung erneut zugestanden wird (ggf. dann auch unbefristet), handelt es sich nicht um einen Neuantrag. Es bleibt dann also bei der vorherigen schlechteren Regelung der Zurechnungszeiten.
Musterklagen der Sozialverbände
Gegen diese ungleiche Behandlung wehrte sich in einer vom VdK unterstützten Musterklage unter anderem dessen Mitglied Josef M., der bereits seit 2004 Erwerbsminderungsrente erhält und gleich von mehreren Gesetzesverbesserungen nicht profitierte. Seine Klage gegen die »Ungleichbehandlung« wurde vom Bundessozialgericht abgelehnt (BSG, Urteile vom 10.11.2022, Az. B 5 R 29/21 R und B 5 R 31/21 R).
Bundessozialgericht bestätigt Vorinstanzen
Der zuständige 5. Senat des BSG sah durch die Tatsache, dass die Leistungsverbesserungen Bestandsrentnern nicht zugutekommen, das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes nicht verletzt. Für die unterschiedliche Behandlung von Bestands- und Neurentnern gebe es »sachliche Gründe, die die Differenzierung nicht als willkürlich erscheinen lassen«. Grundsätzlich würden in der gesetzlichen Rentenversicherung Leistungsverbesserungen ebenso wie Leistungskürzungen »grundsätzlich nur für die Zukunft erfolgen und auf bereits laufende Renten nicht übertragen«. Der Gesetzgeber habe auch den erheblichen organisatorischen und finanziellen Mehraufwand bei sofortiger Einbeziehung aller Bestandsrentner berücksichtigen dürfen.
Zudem sei für das Urteil zu berücksichtigen gewesen, dass der Gesetzgeber mittlerweile für alle Erwerbsminderungsrentner (also auch für diejenigen, die vor 2019 bereits eine EM-Rente bezogen) einen Zuschlag zu ihrer Rente und ebenso zu einer daran anschließenden Altersrente eingeführt habe, der ihnen ab dem 1.7.2024 zustehe.
Zuschlag zur EM-Rente ab Juli 2024
Sogenannte Bestandsrentnerinnen und -rentner, deren Erwerbsminderungsrente zwischen dem 1. Januar 2001 und dem 31. Dezember 2018 begonnen hat, erhalten ab Juli 2024 einen pauschalen Zuschlag von 4,5 bzw. 7,5% – die Höhe hängt ab vom Zeitpunkt des Rentenbeginns:
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Rentenbeginn zwischen Januar 2001 und Juni 2014: 7,5%
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Rentenbeginn zwischen Juli 2014 und Dezember 2018: 4,5%.
Der Zuschlag muss nicht extra beantragt werden. Die Deutschen Rentenversicherung wird automatisch prüfen, wer Anspruch auf die Erhöhung hat und die Auszahlung der Rente dann entsprechend anpassen.
Das BSG sah auch – anders als von den Klägern gefordert – keinen Raum für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG.
VdK-Präsidentin Verena Bentele erklärte nach dem Urteil, dass »hier das letzte Wort noch nicht gesprochen« sei. Das Bundesverfassungsgericht müsse nun klären, ob die derzeitige Gesetzgebung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes verstoße. »Der SoVD und wir als VdK gehen deswegen nun nach Karlsruhe«.
EM-Rente vor dem Bundesverfassungsgericht
Der Sozialverband VdK und der Sozialverband Deutschland (SoVD) haben daher am 4. Mai 2023 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Ein Aktenzeichen zu dem Verfahren ist leider noch nicht bekannt.
Nach Ansicht des VdK sind die inzwischen beschlossenen Zuschläge zu niedrig und sollten doppelt so hoch sein – nur dann würde eine echte Gleichbehandlung hergestellt. Außerdem würden die Zuschläge erst zum Juli 2024 eingeführt und damit viel zu spät umgesetzt.
Der VdK hält deshalb an den Klagen fest – und wir schauen gespannt nach Karlsruhe und werden wieder über den Fall berichten, wenn es etwas Neues gibt!
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(AI, MB)