Berufsunfähigkeit bei Online-Händlern: Paketversand und -annahme muss noch möglich sein
Wann liegt bei Selbstständigen eine Berufsunfähigkeit vor?

Berufsunfähigkeit bei Online-Händlern: Paketversand und -annahme muss noch möglich sein

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Online-Handel findet vielfach von zu Hause aus statt – oft vom Homeoffice aus oder auch aus der Garage. Das kommt Menschen mit gesundheitlichen Handicaps natürlich entgegen. Doch Pakete anzunehmen und zu verschicken, dazu müssen Betroffene wenigstens in der Lage sein.

Einer Solo-Selbstständigen, über deren Klage das Oberlandesgericht München entschieden hat, war das aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich. Dennoch verweigerte ihr Versicherer ihr eine Berufsunfähigkeitsrente. Die Entscheidung des OLG brachte der Klägerin eine Nachzahlung in Höhe von knapp 200.000 Euro, basierend auf einer Berufsunfähigkeitsrente, die anfänglich 2013 knapp 2.900 Euro betrug (OLG München vom 13.10.2022, 25 U 2340/21).

Selbstständige: Berufsunfähigkeitsversicherung immer empfehlenswert

Wie für alle Selbstständigen ist auch für Online-Händler eine Berufsunfähigkeitsversicherung dringend empfehlenswert. Doch wann gilt man bei einer solchen Tätigkeit als »berufsunfähig«? Insbesondere müssen Betroffene zur Ausübung ihrer Tätigkeit ja nicht besonders mobil sein.

Darum ging es im entschiedenen Fall

Im Fall, über den in München entschieden wurde, war die Versicherte aufgrund einer degenerativen Erkrankung allerdings nicht mehr in der Lage, Pakete mit einem Gewicht von mehr als 7,5 kg anzunehmen, in ihr Lager zu tragen und zu versenden. Ihr Versicherer argumentierte, für diese Aufgaben wende sie ja nur einen eher kleinen Teil ihrer Arbeitszeit auf und zudem könne sie für diese Tätigkeiten Personal einstellen. Somit lehnte der Versicherer die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente ab.

Wann liegt bei Selbstständigen »Berufsunfähigkeit« vor?

Das OLG München wies diese Argumente zurück und stellte bei der Betroffenen eine Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % fest.

Das OLG München konnte sich dabei unter anderem auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19.7.2017 (Az. IV ZR 535/15) stützen.

Der BGH hatte hier befunden, dass es bei der Bestimmung des Grads der Berufsunfähigkeit nicht schematisch auf den Zeitanteil einer einzelnen Tätigkeit ankomme, die ein Versicherter nicht mehr ausüben könne. Entscheidend sei, dass diese ein »untrennbarer Bestandteil« der eigenen Tätigkeit sei. Und genau das ist beim Online-Handel für die Aspekte Paketannahme und -versand der Fall.

Auch die Einstellung einer geringfügig Beschäftigten, die alles erledigt, was mit Paketversand und Paketannahme zu tun hat, hielt das OLG für nicht zumutbar. Eine Umorganisation der Tätigkeit sei nur dann zumutbar, wenn sie ohne nennenswerte Einkommenseinbuße möglich sei. Das Gericht befand, die Einstellung eines Mitarbeiters, »der Teile der von der Klägerin zuvor selbst ausgeführten Tätigkeiten übernähme, [würde] unmittelbar dazu führen, dass der Gewinn der Klägerin um die insoweit anfallenden Personalkosten geschmälert würde«.

(AI)

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