Schwerbehinderter Bewerber wehrt sich gegen Benachteiligung
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Ein überfülltes E-Mail-Postfach führte dazu, dass einem schwerbehinderten Bewerber eine Entschädigung in Höhe von gut 3.700,– € zuerkannt wurde.
Technische Probleme beim Oberlandesgericht Köln verhinderten, dass die Bewerbung eines Behinderten überhaupt zur Kenntnis genommen werden konnte. Deshalb wurde sie bei der Auswahl der Stellenbewerber auch nicht berücksichtigt.
Dagegen klagte der Betroffene. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) befand: Der Grund für die Nicht-Berücksichtigung spielt keine Rolle (Urteil vom 23.1.2020, Az. 8 AZR 484/18).
Alle Menschen müssen gleich behandelt werden
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) regelt, dass freie Stellen geschlechtsneutral ausgeschrieben werden müssen, und es verbietet u.a. Benachteiligungen von behinderten Menschen und Älteren bei Bewerbungen.
Ziel des Gesetzes ist es, Benachteiligungen wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern.
Abgesichert wird das durch Entschädigungsansprüche des Diskriminierten. Vorgesehen sind Entschädigungssummen von bis zu drei Monatsgehältern, selbst wenn ein Bewerber eine ausgeschriebene Stelle ohnehin nicht erhalten hätte.
Der Geschädigte muss dabei nach § 22 AGG nur Indizien einer Diskriminierung, wie z.B. eine unzulässige Stellenausschreibung, belegen. Gibt es solche Indizien für eine Diskriminierung, sind AGG-Klagen in aller Regel erfolgreich – so auch in dem Postfach-Fall, den das BAG kürzlich entschieden hat.
Fachlich geeignet, aber nicht eingeladen
Der Kläger hatte sich beim Oberlandesgericht Köln (OLG) um eine Stelle beworben, für die er zumindest nicht offensichtlich ungeeignet war. In der Bewerbung hatte er ausdrücklich auf seine Behinderung hingewiesen, er wurde dennoch nicht zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen.
Das OLG argumentierte, das sei nicht mit Absicht geschehen, "die Bewerbung des Klägers sei aufgrund eines schnell überlaufenden Outlook-Postfachs und wegen ungenauer Absprachen unter den befassten Mitarbeitern nicht in den Geschäftsgang gelangt". Schon aus diesem Grund sei der Kläger nicht wegen der Behinderung benachteiligt worden.
Durch alle Gerichts-Instanzen geklagt
Insgesamt haben sich drei Instanzen der Arbeitsgerichtsbarkeit mit der Klage beschäftigt, in der der Betroffene eine Entschädigung in Höhe von 7.434,39 Euro verlangte. Das Arbeitsgericht Köln hat die Klage zunächst abgewiesen.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat ihr teilweise stattgegeben und dem Kläger eine Entschädigung in Höhe der Hälfte der geforderten Entschädigung zugestanden.
Das hat das Bundesarbeitsgericht nun bestätigt. Die beiden oberen Instanzen der Arbeitsgerichtsbarkeit befanden, der Entschädigungsanspruch nach dem AGG entstehe dem Grunde nach verschuldensunabhängig. Das Übersehen oder Verlieren einer Bewerbungsmappe oder einer Bewerbungs-Mail sei kein sachlicher Grund, der Ansprüche ausschließen könne.
Fehlerhafte Organisation
Das LAG hatte die suboptimale Ausstattung der Speicherkapazitäten der E-Mail-Postfächer nicht etwa als Entschuldigung gesehen, sondern fast als strafverschärfend gewertet.
Ein Gigabyte Speicherkapazität koste zurzeit in IT-Verbrauchermärkten etwas über 2 Cent, eine Verzehnfachung des Speicherplatzes pro Arbeitsplatz würde weniger als 10 Cent kosten. Das sei eine Größenordnung, die wirtschaftlich marginal und mit Blick auf den öffentlichen Haushalt unbeachtlich sei. Damit liege ein grundlegender Organisationsfehler vor.
(MS)