Während der Ausbildung erkrankt: Anspruch auf Kindergeld bleibt
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Für ein volljähriges Kind, das während seiner Berufsausbildung erkrankt, kann weiter Anspruch auf Kindergeld bestehen. Falls das voraussichtliche Ende der Erkrankung nicht ermittelt werden kann, kommt eine Berücksichtigung als Kind mit Behinderung in Betracht.
Das geht aus einem aktuell veröffentlichten Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) hervor.
Im Streitfall hatte der 1999 geborene Sohn der Klägerin zum 1. August 2015 eine Ausbildung begonnen, die nach dem Ausbildungsvertrag am 31. Januar 2019 enden sollte. Im September 2018 erlitt er bei einem Arbeitsunfall einen Schädelbasisbruch und befand sich bis Ende November 2018 in klinischer Behandlung. Danach durchlief er einen Reha-Plan mit dem Ziel der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit. In diesem Rahmen fanden im September 2019 eine Arbeitserprobung und im Februar 2020 eine weitere berufsvorbereitende Maßnahme statt. Der Berufsausbildungsvertrag wurde nicht formal beendet.
Die Familienkasse zahlte ab Oktober 2018 kein Kindergeld mehr und begründete dies damit, dass der junge Mann aufgrund der langfristigen Erkrankung seine Ausbildung in absehbarer Zeit nicht aktiv würde fortsetzen können. Das voraussichtliche Ende der Erkrankung sei nicht durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesen.
Dagegen wehrten sich die Eltern und bekamen vom erstinstanzlich entscheidenden FG Münster Recht. Das Finanzgericht (FG) sprach Kindergeld für die ersten acht Monate nach dem Unfall zu, weil das Ausbildungsverhältnis fortbestanden habe und der Wille, die Ausbildung baldmöglichst fortzusetzen, in mehrfacher Hinsicht belegt sei.
Die Richter waren der Auffassung, dass eine Berufsausbildung ab Oktober 2018 und sogar über das geplante Ende der Berufsausbildung im Januar 2019 hinaus stattfand. Sie erklärten dazu, dass hier zwar nicht auf das formale Weiterbestehen des Ausbildungsverhältnisses abzustellen sei, sondern auf tatsächliche Ausbildungsmaßnahmen. Eine krankheitsbedingte Unterbrechung sei jedoch grundsätzlich unschädlich. Dem liege der Gedanke zugrunde, dass ein ausbildungswilliges Kind, das aus objektiven Gründen an Ausbildungsmaßnahmen gehindert sei, ebenso berücksichtigt werden müsse wie ein Kind, das sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht (FG Münster, Urteil vom 1.7.2020, Az. 11 K 1832/19).
Die Familienkasse zog gegen dieses Urteil vor den BFH. Der BFH hob das Urteil des Finanzgerichts Münster auf und verwies die Sache an das Finanzgericht Münster zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück – das heißt, das FG Münster muss sich nun noch einmal mit dem Fall beschäftigen.
Dabei muss es insbesondere klären, ob die sechs Monate übersteigende Erkrankungsdauer bereits in den ersten Monaten nach dem Unfall mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartet wurde.
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In einer Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG befindet sich ein Kind dann, wenn es sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet.
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Eine Unterbrechung der Ausbildung, z.B. wegen einer Erkrankung, ist unschädlich, wenn diese vorübergehend ist.
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Wird die Erkrankung aber mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauern, kann das Kind nicht mehr wegen seiner Ausbildung berücksichtigt werden.
Falls zunächst eine schnellere Genesung möglich erschien, könnte der Kindergeldanspruch, so der BFH, für diesen Zeitraum noch wegen des fortbestehenden Ausbildungsverhältnisses begründet sein.
Für die Monate, in denen eine Berücksichtigung wegen Ausbildung aufgrund des dann mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarteten und eingetretenen langwierigen Heilungsprozesses nicht in Betracht kommt, ist zu prüfen, ob das Kind behinderungsbedingt außerstande war, sich selbst zu unterhalten und deshalb nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG zu berücksichtigen ist (BFH-Urteil vom 15.12.2021, Az. III R 43/20).
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(MB)