Risikomanagement und KI: Die Zukunft der Steuerverwaltung
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Auch in der Finanzverwaltung besteht seit Jahren Fachkräftemangel. Wann eine Steuererklärung genauer unter die Lupe genommen wird, wird daher zunehmend mit Hilfe von Software und Technik entschieden.
...Und das ist auch gut so, möchten wir an dieser Stelle ergänzen. Denn so können gezielt Steuererklärungen überprüft werden, bei denen Unstimmigkeiten vermutet werden – und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vergeuden nicht kostbare Zeit damit, völlig harmlose Steuererklärungen durchzulesen.
Inhalt
Was ist das Risikomanagementsystem (RMS) im Finanzamt?
Das Risikomanagementsystem (RMS) der deutschen Steuerverwaltung ist ein computergestütztes Verfahren, das seit 2017 gesetzlich verankert ist (§ 88 Abs. 5 AO), um die Selbstveranlagung der Steuerpflichtigen zu kontrollieren und die begrenzten Ressourcen der Finanzämter effizient einzusetzen.
Es prüft automatisch Steuererklärungen anhand von mehreren Tausend Parametern (es sollen rund 3.000 bis 4.000 sein), um festzustellen, ob Angaben plausibel sind oder Risiken für Fehler oder Steuerhinterziehung bestehen.
Die Steuerfälle werden in drei Risikoklassen eingeteilt:
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Risikoklasse 1: Hohe Prüfungsintensität, z. B. bei Steuererklärungen mit mehreren Einkunftsarten, hohen Einnahmen oder bestimmten Branchen; diese Fälle werden umfassend geprüft.
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Risikoklasse 2: Fälle mit kleineren Auffälligkeiten, die durch spezielle Software näher untersucht werden.
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Risikoklasse 3: Risikoarme Fälle, die meist ohne intensive Prüfung bleiben.
Was bedeutet das Risikomanagementsystem für Steuerzahler?
Das Risikomanagementsystem soll der Steuerverwaltung dabei helfen, die Steuererklärungen effizient und risikoorientiert durchzuführen. Das RMS soll eine gleichmäßige und faire Besteuerung sicherstellen, indem es risikobehaftete Fälle gezielt erkennt und kontrolliert.
Für private Steuerzahler wie Angestellte, Beamte und Rentner bedeutet das vor allem eine differenzierte Prüfintensität je nach Komplexität und Risiko ihrer Steuererklärung.
Die meisten »einfachen« Steuererklärungen ohne Auffälligkeiten landen in der Risikoklasse 3 und werden in der Regel automatisiert und ohne weitere Prüfung bearbeitet. Das bedeutet auch, dass der Steuerpflichtige schneller seinen Steuerbescheid erhält.
Wer dagegen zum Beispiel mehrere Einkunftsarten hat, besonders hohe Einnahmen erzielt oder in bestimmten Branchen tätig ist, muss mit intensiveren Prüfungen rechnen.
Die Steuererklärung bleibt grundsätzlich eine Selbstveranlagung, das heißt, der Steuerpflichtige ist selbst verantwortlich für die korrekten Angaben.
Welche Branchen werden genauer betrachtet?
Das Risikomanagementsystem nimmt insbesondere Steuerzahler aus bestimmten »gestaltungsanfälligen« oder risikobehafteten Branchen genauer unter die Lupe.
Das Bundesfinanzministerium veröffentlicht dazu keine konkreten Risikoparameter und Branchen, aus den verfügbaren Informationen lassen sich aber folgende Branchen und Fälle ableiten, die typischerweise einer intensiveren Prüfung unterzogen werden:
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Branchen mit vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Steuererklärung, also solche, die häufig komplexe oder kreative Steuergestaltungen nutzen.
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Steuerzahler mit hohen Einkünften und Umsätzen, was oft bei Unternehmern und Freiberuflern der Fall ist.
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Branchen, die traditionell als risikoreicher für Steuerhinterziehung oder Unregelmäßigkeiten gelten, etwa Baugewerbe, Gastronomie, Handel, Dienstleistungen mit hohem Bargeldanteil oder bestimmte freiberufliche Tätigkeiten.
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Fälle mit mehreren Einkunftsarten, die typischerweise bei Unternehmern, Selbstständigen oder Vermietern vorkommen.
Diese Branchen und Fälle werden häufig in die Risikoklasse 1 eingestuft und unterliegen einer intensiven Prüfung, inklusive Betriebsvergleichen und Datenbankabfragen.
Finanzamt & Künstliche Intelligenz
Nach und nach soll in der Steuerverwaltung auch Künstliche Intelligenz (KI) eingesetzt werden, um Effizienz, Geschwindigkeit und Qualität der Bearbeitung zu verbessern.
Als erstes Bundesland setzt Nordrhein-Westfalen auf Künstliche Intelligenz in der Steuerveranlagung: Ab Mai 2025 wird in vier Pilotfinanzämtern des Landes erstmals ein KI-Modul zur Unterstützung der Steuerveranlagung eingesetzt. Das Ziel: »Steuererklärungen sollen effizienter, schneller und treffsicherer bearbeitet werden – zum Vorteil für Bürgerinnen und Bürger ebenso wie für die Beschäftigten in der Finanzverwaltung.« (Quelle: Finanzministerium Nordrhein-Westfalen, Pressemitteilung vom 22.04.2025)
Wie wird KI im Finanzamt eingesetzt?
KI soll die automatisierte Bearbeitung von Steuererklärungen unterstützen, indem sie Muster in Daten erkennt und risikoarme Fälle identifiziert, die dann schneller und automatisiert bearbeitet werden können. Dies soll die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlasten und die Bearbeitungszeiten für Steuerpflichtige beschleunigen.
KI-gestützte Systeme analysieren dazu umfangreiche Steuer- und Unternehmensdaten, um Auffälligkeiten und Risiken zu erkennen, etwa bei Betriebsprüfungen. So kann die Auswahl der Prüfungsfälle zielgenauer und effizienter erfolgen, wie es zum Beispiel bei der KI-Anwendung »KIRA« für risikoorientierte Arbeitgeberprüfungen der Deutschen Rentenversicherung bereits der Fall ist (mehr zu KIRA auf der Internetseite der Deutschen Rentenversicherung).
KI kann so die Informationsgrundlage der Mitarbeitenden im Finanzamt erweitern und sie bei der Entscheidungsfindung unterstützen, indem sie relevante Daten aufbereitet, Handlungsempfehlungen gibt und Rechtsanwendungsvorschläge generiert.
Ist KI-Nutzung im Finanzamt erlaubt?
Ja: Die Abgabenordnung enthält tatsächlich bereits Rechtsgrundlagen für den Einsatz von KI in der Finanzverwaltung, etwa für vollautomatische Fallbearbeitung (§§ 29c Abs. 1, 155 Abs. 4 AO).
Allerdings findet man dort nicht die Begriffe »Künstliche Intelligenz« oder »Artificial Intelligence (AI)«, sondern es ist von »automationsgestützt« die Rede. Und weil KI so viel mehr ist und kann als »automationsgestützt«, werden wird es bestimmt noch rechtliche Anpassungen und Vorgaben zur Kontrolle von KI-Systemen geben (müssen). Denn KI-Entscheidungen müssen nachvollziehbar, transparent und überprüfbar sein, um Rechtsschutz für Steuerpflichtige sicherzustellen.
Angesichts des Fachkräftemangels und der Komplexität im Steuerrecht ist der KI-Einsatz im Finanzamt sicher unvermeidlich. Kontrollaufgaben erfordern aber weiterhin menschliche Intelligenz.
KI im Finanzamt: Wo gibt es das schon?
Ab Mai 2025 startet Nordrhein-Westfalen Pilotprojekte mit KI-Modulen zur Unterstützung der Steuerveranlagung in vier Finanzämtern.
Der Fokus liegt zunächst auf klassischen Arbeitnehmerfällen mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, Kapitalerträgen, Vorsorgeaufwendungen und ähnlichen Bereichen. Eine Ausweitung auf weitere Fallkonstellationen ist aber geplant, und die Pilotphase soll (wenn sie erfolgreich verläuft) zu einer landesweiten Einführung führen.
Generative KI-Tools wie ChatGPT sind bereits unter klaren Rahmenbedingungen für den dienstlichen Gebrauch freigegeben, um Mitarbeitende bei Texterstellung, Recherche und ähnlichen Aufgaben zu unterstützen.
Um digitale Souveränität zu gewährleisten, baut Nordrhein-Westfalen ein modernes Rechenzentrum mit eigener KI-Hardware auf.
Bayern kooperiert mit der Technischen Universität Nürnberg zur Erforschung und Entwicklung moderner KI-Technologien, um Verwaltungsprozesse weiter zu automatisieren und die Steuerverwaltung zu entlasten.
Die Zusammenarbeit umfasst Forschung und Entwicklung neuer KI-Modelle, die auch rechtliche und regulatorische Steuerfragen adressieren können. Dafür wird ein spezielles, sicheres Forschungslabor eingerichtet, um höchste Datenschutzstandards zu gewährleisten, wobei sensible Steuerdaten den geschützten Bereich der Behörden nicht verlassen.
Hessen hat mit seiner KI-Zukunftsagenda seit 2022 einen strategischen Rahmen für den Einsatz von KI in der Landesverwaltung geschaffen, der auch die Steuerverwaltung umfasst. Die Agenda betont den Nutzen für Bürger, Unternehmen und Beschäftigte sowie den verantwortungsvollen Umgang mit KI.
Schleswig-Holstein verfolgt mit dem Programm »KI @Verwaltung« verschiedene Projekte zur Umsetzung der KI-Strategie, die auch Anwendungen in der Steuerverwaltung beinhalten können.
Insgesamt gibt es in den Bundesländern eine klare Tendenz, KI schrittweise und verantwortungsvoll in der Steuerverwaltung einzuführen.
Risikomanagementsystem und KI: Was ist der Unterschied?
Beide Möglichkeiten sollen zur Effizienz beitragen, die Mitarbeitenden in den Finanzämtern unterstützen und Steuerpflichtigen schnellere Steuerbescheide bescheren. Gibt es also überhaupt einen Unterschied zwischen den Systemen?
Ja – er liegt vor allem in im Zweck, der Funktionsweise und dem technologischen Ansatz:
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Das RMS klassifiziert Steuererklärungen anhand vordefinierter Risikoparameter. Es teilt alle Steuerfälle in Risikoklassen (hoch, mittel, gering) ein und richtet die Prüfintensität entsprechend aus. Das System ersetzt nicht die eigentliche Prüfung, sondern identifiziert Fälle mit erhöhtem Kontrollbedarf.
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Die Risikoparameter des RMS basieren auf statischen, vorab definierten Kriterien wie Einkunftsarten, Höhe der Einnahmen oder Branche.
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KI nutzt Mustererkennung, maschinelles Lernen und automatisierte Entscheidungsfindung, um Steuerprozesse effizienter, schneller und treffsicherer zu gestalten.
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KI ergänzt das Risikomanagementsystem, indem sie komplexe Datenanalysen durchführt, Muster in großen Datenmengen erkennt und auch unvorhergesehene Auffälligkeiten identifizieren kann. So können gut nachvollziehbare Fälle automatisiert bearbeitet und komplexe Fälle besser unterstützt werden.
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KI-Systeme unterstützen die Mitarbeiter, indem sie Routineaufgaben automatisieren, Handlungsempfehlungen geben und die Entscheidungsfindung bei komplexen Sachverhalten verbessern.
Die Künstliche Intelligenz ist flexibler und lernfähig, während das Risikomanagementsystem auf festen, gesetzlich vorgegebenen Parametern beruht.
In der Praxis ergänzt KI das Risikomanagementsystem, indem sie die Datenanalyse verbessert und die automatisierte Bearbeitung ausweitet, während das RMS die gesetzliche Grundlage für risikoorientierte Prüfungen bildet.
RMS und KI im Finanzamt: Übersicht
Merkmal |
Risikomanagementsystem (RMS) |
Künstliche Intelligenz (KI) |
Rechtsgrundlage |
§ 88 Abs. 5 AO, gesetzlich vorgeschrieben |
Nutzung basiert auf bestehenden Gesetzen, z.B. §§ 29c, 155 AO, und neuer Forschung |
Funktionsweise |
Klassifizierung von Steuerfällen anhand fester Risikoparameter |
Mustererkennung, maschinelles Lernen, automatisierte Analyse großer Datenmengen |
Ziel |
Steuerfälle nach Risiko sortieren und Prüfressourcen steuern |
Effizienzsteigerung, Automatisierung, Unterstützung bei komplexen Entscheidungen |
Prüfungsintensität |
Einteilung von Steuerfälle in Risikoklassen |
Automatisierte Bearbeitung risikoarmer Fälle, Unterstützung bei komplexen Fällen |
Flexibilität |
Statisch, basiert auf vorgegebenen Parametern |
Adaptiv, lernfähig, erkennt auch neue Muster und Anomalien |
Rolle der Mitarbeitenden |
Prüfer führen bei Risikofällen manuelle Prüfungen durch |
Entlastung durch Automatisierung, Fokus auf komplexe Fälle |
(MB)